Flexibles Fertigungssystem beherrscht Paletten- und Werkstückhandling:
SKF Aeroengine France fertigt komplexe Lagerkomponenten hoch automatisiert
Die Fertigung kleiner Stückzahlen bis hinunter zu „Losgröße 1“ gilt nicht gerade als Domäne von hoch automatisierten Anlagen – vor allem dann nicht, wenn die Produktion eine komplexe Zerspanung umfasst, weitere, mitunter anspruchsvolle Prozessschritte beinhaltet und außerdem eine durchgängige Qualitätskontrolle gewünscht ist.
Dennoch konnte SKF Aeroengine gemeinsam mit Fastems eine Lösung realisieren, die genau dazu in der Lage ist. Dabei werden die individuelle Handhabung von Werkstücken und das Handling auf Werkstückpaletten in einem flexiblen Fertigungssystem (FFS) kombiniert.
SKF Aeroengine France mit Sitz in Rouvignies gehört zu SKF Aerospace und ist eines von fünf europäischen Unternehmen von SKF, das sich auf die Herstellung von Lagern für die Luftfahrtindustrie spezialisiert hat. Mit insgesamt 630 Mitarbeitern fertigt SKF Aeroengine Wälzlager aller Art für Flugzeugtriebwerke sowie Helikopter. Darüber hinaus ist das Unternehmen „Center of Excellence“ für die thermische Behandlung von Wälzlagern und Rollenfertigung in Europa.
Auftrag der nächsten Generation mit hohen Ansprüchen
„Vor rund zwei Jahren erhielten wir einen Auftrag zur Herstellung von speziellen Wälzlager-Komponenten für die neue LEAP-Triebwerksgeneration, dem Nachfolger des CFM56 Triebwerks. Der – angesichts seines Volumens – für uns bis dato einzigartige Auftrag erstreckt sich über einen Zeitraum von rund 20 bis 30 Jahren, wobei sich die einzelnen Losgrößen zwischen fünf und 30 Stück pro Job bewegen“, erklärt Cédric Vandevoir, Process Engineering Manager von SKF Aeroengine France.
„Dabei handelt es sich um ein hoch modernes Mantelstrom-Triebwerk des Herstellers CFM International, bei dem neueste Technologien zur Herstellung eingesetzt werden. Die Bearbeitung der komplexen, mittelgroßen Wälzlager-Teile ist sehr anspruchsvoll, erfordern neue Bearbeitungsstrategien und höchste Präzision um den Qualitätsansprüchen gerecht zu werden“, präzisiert Marcus Jakob, Global Process Development Manager, SKF Aerospace.
Investition in Leistung, Präzision und Produktivität
Angesicht der Anforderungen an eine qualitativ hochwertige, stets rückverfolgbare und vor allem wirtschaftliche Produktion von kleineren, aber immer wiederkehrenden Stückzahlen über eine sehr lange Zeit, musste SKF Aero seine bisherige Fertigungsstrategie komplett überdenken: Denn bislang gehörte eine Reihe von manuellen Tätigkeiten für spezifische Produktionsabläufe zum Arbeitsalltag. Nun galt es, ebenso leistungsstarke wie präzise Maschinen für die aufwendige Bearbeitung der Lagerkomponenten zu finden und diese mit SKF Knowledge aufzurüsten.
Außerdem sollte die Bearbeitung – inklusive der hierzu notwendigen nachgeschalteten Prozesse – komplett in eine einzige hochproduktive Lösung integriert werden. „Wir wollten so viele Prozessschritte wie möglich automatisieren und manuelle Eingriffe drastisch minimieren. Daher haben wir uns auf die Suche nach Partnern gemacht – sowohl für die ,Industrie 4.0-Maschinen‘ als auch für die Automatisierung des ambitionierten Projekts“, so Jakob.
Softwarekompetenz und Erfahrung entscheidend
Nach eingehender Prüfung potenzieller Systemintegratoren entschied sich SKF Aeroengine schließlich für Fastems; und das aus guten Gründen, wie Marcus Jakob berichtet:
„Es war uns wichtig, dass der Partner auf die sehr unterschiedlichen Anforderungen des Gesamtprojektes, das wir auch auf andere SKF Aero Werke übertragen, sowie auf individuelle Wünsche flexibel eingehen kann. Dabei spielt die Software eine entscheidende Rolle. Roboter sind heutzutage Standardware und können leicht erworben werden.
Aber das Know-how, die Integration und die flexible Umsetzung in der eigentlichen Anwendung sind hier die entscheidenden Punkte. Fastems konnte schon in Bezug auf die Unternehmensgröße, die Anzahl der Softwareentwickler im eigenen Hause und vor allem im Hinblick auf die Kompetenz im Bereich flexibler Softwarelösungen für die Automatisierung deutlich überzeugen.“
Komplexe Gesamtlösung inklusive Qualitätsprüfung
Die anfänglichen Vorstellungen von SKF Aeroengine wurden im Projektverlauf mit Fastems bis zum jetzigen System namens „RoboFMS“ (Robotic Flexible Manufacturing System) weiterentwickelt. „Auf Grund der guten Zusammenarbeit zwischen SKF und Fastems konnten wir sehr schnell neue und innovative Lösungen finden und wichtige Meilensteine des Projekts erreichen“, so Jakob.
Die an das flexible Fertigungssystem angebundenen Maschinen und Systeme vermitteln einen Eindruck von der Komplexität der Gesamtlösung: zwei Dreh-/Fräszentren, ein Schleifzentrum, eine Läppmaschine, eine 3D-Koordinatenmessmaschine, eine Anlage zur Teilereinigung und ein Laser-Markiersystem. Darüber hinaus integriert das RoboFMS eine Be- und Entladestation für fahrerlose Transportfahrzeuge (AGV’s) sowie ein Lager für Roh-, Halbfertig- und Fertigteile.
Ein FFS für hochflexibles Handling
Das RoboFMS verkettet sämtliche Prozessschritte in einem FFS: von der Erstbearbeitung der zuvor an der Ladestation manuell auf Nullpunktspannsystemen aufgespannten Werkstücke an den beiden Dreh-/Fräszentren über die Bearbeitung an der Läpp- und Schleifmaschine bis hin zur Lasermarkierung und Qualitätskontrolle unter Berücksichtigung vorangegangener Prozessschritte.
Der auf einer Schiene verfahrende Roboter ist hierbei in der Lage, sowohl Werkstückpaletten als auch Werkstücke ohne Palette zu handhaben. Hierzu Vandevoir: „Die Bearbeitungsprozesse an der Läpp- und Schleifmaschine sind aus Gründen der Präzision nur ohne Aufspannung möglich, daher muss an dieser Stelle noch ein Mitarbeiter das Werkstück an der Ladestation abspannen, damit der Roboter zunächst die Läppmaschine und anschließend die Schleifmaschine mit einem Halbfertigteil beladen kann.“
Den Takt der Transportbewegungen im RoboFMS gibt die Chronologie des Gesamtprozesses vor – und die hängt vom jeweiligen Status der Werkstücke, der Werkzeuge, der Maschinen und weiterer Stationen im System ab. So kann es sein, dass ein Halbfertigteil zunächst im Systemlager abgelegt wird, wenn sich bspw. bereits ein Werkstück in einer Maschine oder einer Mess- bzw. Markierstation befindet.
Nahezu null Rüstzeiten an den Maschinen
Sind die Werkzeuge vorbereitet und befindet sich genügend Material im Lager, dann ist das RoboFMS auf eine hohe autonome Fertigung über einen langen Zeitraum ausgelegt.
„Unser Ziel ist es, ein gesamtes Wochenende unbemannt produzieren zu können und das auch bei ,Losgröße 1‘. Voraussetzung dafür ist, dass sich im Systemlager genügend aufgespannte Werkstücke und nicht aufgespannte Halbfertigteile befinden, damit sämtliche Stationen im RoboFMS zu jeder Zeit bedient werden können. Darüber hinaus arbeiten wir derzeit daran dass das System sämtliche Wälzlagerkomponenten hoch automatisiert fertigen kann, ohne manuelle Rüstung von Bedienern “, so Jakob.
Mehr als zentrale Planung, Steuerung und Überwachung
Ein unverzichtbarer Baustein des Projekts ist nach Ansicht von Cédric Vandevoir auch die Manufacturing Management Software (MMS) von Fastems:
„In naher Zukunft werden wir die MMS an unser ERP-System anbinden, um direkt hieraus die Produktionsplanung vorzunehmen. Die Software soll dann auch die gesamte automatisierte Produktion steuern und überwachen.
Außerdem ermöglicht uns die MMS die Gesamteffizienz des RoboFMS abzubilden, um bei Bedarf schnell reagieren und somit beispielsweise gezielt Einzelprozesse optimieren zu können. Die Software bietet hierzu alle Voraussetzungen.“
Essentieller Bestandteil der Produktion
Die Kooperation von SKF Aeroengine und Fastems kann bereits jetzt als Erfolg verbucht werden, wie Vandevoir meint:
„Mit dem RoboFMS können wir selbst die anspruchsvollste Lagerkomponenten in den geforderten Stückzahlen und mit höchster Qualität fertigen und somit unsere Kunden innerhalb der vereinbarten Termine mit maßgeschneiderten Wälzlagern beliefern. Dazu trägt das Automationssystem maßgeblich bei. Das FFS ist ein essentieller Bestandteil unserer Produktion und damit unserer Wettbewerbsfähigkeit sowie unseres Erfolges geworden.“
Gilles Ofcard, Factory Manager von SKF Aeroengine France, ergänzt:
„Mit diesem Automatisierungsprojekt sind wir bestens für bedeutende Veränderungen in unserer Branche gerüstet. Denn unsere Branche ist von einer zunehmenden Produktvielfalt mit immer kleineren Produktionschargen geprägt. Natürlich gibt es gewisse Vorbehalte gegenüber solchen Veränderungen, die sich durch die sehr hohen technischen Fähigkeiten und Anforderungen an Qualität und Leistung in einem starken Markt erklären. Aber wir können uns diesem grundlegenden Wandel nicht entziehen und müssen deshalb umso mehr verdeutlichen, dass uns die Technologie dabei hilft, unser Qualitätsniveau weiter zu verbessern, unsere Flexibilität zu erhöhen, unsere Prozesse zu stabilisieren und unsere Produktion sicherer zu machen.“
Aussagen, die auch Marcus Jakob unterstreicht:
„Mit diesem Projekt schlagen wir an mehreren Standorten innerhalb der SKF Gruppe neue Wege ein. Ein zweites, identisches RoboFMS haben wir bereits bei SKF Aeroengine in New York installiert und dieses noch um ein zusätzliches Dreh- und Schleifzentrum ergänzt.
Ein ähnliches System kommt in unserem Werk in Pennsylvania zum Einsatz, wo wir spezielle Dichtungen für die Aerospace-Branche herstellen. Zwar wird dort ausschließlich mit Palettenaufspannungen gearbeitet, sodass das System weniger komplex ist, aber auch hier zahlt sich die Zusammenarbeit mit dem Automatisierungs-Partner Fastems aus.“